Abschied für Anfänger by Anne Tyler
Autor:Anne Tyler
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: Kein & Aber AG
veröffentlicht: 2012-07-15T16:00:00+00:00
5
Wie hatte ich so viele Anzeichen übersehen können?
Wie häufig Nandina sich in meine Treffen mit Gil eingemischt hatte, zum Beispiel. Sicher, sie war schon immer ziemlich neugierig gewesen, aber diesmal war es extrem: Wenn Gil und ich im Wohnzimmer beratschlagten, brauchte sie jedes Mal zufällig ein Buch aus dem Regal, und dann, wenn sie schon einmal dabei war, bot sie uns irgendwelche Erfrischungen an, und wenn sie mit dem Tablett wiederkam, blieb sie rein zufällig da, um ihren Teil beizutragen – steuerte schließlich auf einen Sessel zu und ließ sich hineinsinken, ebenfalls rein zufällig.
Und ihre Bereitschaft, wegen des kleinsten Vorwands zu meinem Haus zu fahren – um den Kühlschrank auszuräumen; um zu prüfen, wie der Verputz wurde; um nachzusehen, ob die Farbe Karamell oder was auch immer für den Fußboden das Richtige sei. Jedes Mal tagsüber, wie man beachte. Jedes Mal, wenn Gil mit höchster Wahrscheinlichkeit dort war.
Und wie sie mich nach seinem Hintergrund ausgefragt hatte. Also, das waren keine argwöhnischen Fragen gewesen! Das war schlichte Neugierde. Sie war wie ein Schulmädchen, das die banalsten Einzelheiten über einen Jungen erforschte, für den es schwärmte – wann er Sport hatte und in welche Klasse er ging. Und, genau wie ein Schulmädchen, ergriff sie jede Gelegenheit, um seinen Namen in den Mund zu nehmen. »Gilead«, hatte sie gesagt, und dabei war ihr Kochlöffel im Topf zum Stillstand gekommen.
Außerdem trug sie keine Hauskleider mehr. Ich hatte sie seit Wochen nicht mehr im Hauskleid gesehen.
Erwiderte Gil ihre Zuneigung?
Ich spürte ein Stechen, fast einen Schmerz. Ich könnte nicht ertragen, sie bemitleiden zu müssen.
Doch wenn ich es recht bedachte: Gil hätte mich eigentlich nicht so häufig zu treffen brauchen. Mehr als einmal hatte ich ihm erklärt, anscheinend ginge die Arbeit gut voran, und er solle mich wissen lassen, wann es wieder etwas zu besprechen gäbe. Aber er hatte ständig etwas zu besprechen. Und bei jedem Treffen wurde er gesprächiger; wir redeten über immer mehr Themen, die nichts zur Sache taten; es schien eher ein Gespräch unter Freunden. Ich hatte mich geschmeichelt gefühlt, weil er so viel Interesse an mir zeigte! Vor Kurzem hatte ich gerochen, dass er nach Old Spice duftete, und festgestellt: »Da hat wohl jemand heute Abend etwas vor«, in der Annahme, wir würden nun ein bisschen über sein Privatleben schwätzen. Aber er war nur rot geworden, und ich hatte mich gefragt, ob ich zu weit gegangen sei, zu schnell angenommen hatte, wir seien mehr als nur Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
Nebenbei bemerkt: Wieso hatte er ihr und nicht mir gesagt, dass er heute Abend besonders früh kommen würde?
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